CE ethisch betrachtet

Wer die Erdtemperatur großtechnisch beeinflussen will, greift in Energie- und Stoffkreisläufe des Planeten ein und beeinflusst das gesellschaftlich-politische Gefüge auf schwer vorhersagbare Weise. Damit stellt sich die Frage: Dürfen wir Menschen Climate Engineering einsetzen, oder sind wir angesichts der für viele Menschen und Ökosysteme bedrohlichen Erderwärmung womöglich sogar dazu verpflichtet?

Welche Argumente sprechen dafür oder dagegen, bestimmte Methoden zu erforschen, zu erproben und einzusetzen? Die technische Machbarkeit allein reicht für Antworten auf diese Fragen nicht aus. Können impliziert kein Dürfen. Ethiker befassen sich daher mit der moralischen Begründung und Bewertung der Optionen und Maßnahmen. Sie rekonstruieren und analysieren Argumente für und wider. Rechtswissenschaftler wiederum überprüfen, ob sich potenzielle Maßnahmen mit geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen und Prinzipien in Einklang bringen lassen.

Wichtig ist: Die ethischen und rechtlichen Argumente gelten für Methoden zur Kohlendioxid-Entnahme und Methoden des Strahlungsmanagements im unterschiedlichen Maße. Ausschlaggebend dafür ist, dass sich die verschiedenen Ansätze, die unter Climate Engineering zusammengefasst werden, substanziell in ihrer Intention, in den räumlichen und zeitlichen Skalen, in ihren Auswirkungen und in den mit ihnen verbundenen Risiken voneinander unterscheiden. Differenziert wird auch bei den moralischen und politischen Fragen, welche sich angesichts der unterschiedlichen Methoden stellen. Beim Thema Strahlungsmanagement müssen vielfach andere Themen diskutiert werden als bei den Methoden zur Kohlendioxid-Entnahme. Bei Letzterer wird nochmals stark zwischen ozean- und landbasierten Verfahren unterschieden. Das bedeutet, dass pauschale Urteile über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Climate Engineering als Ganzes nicht überzeugend sind und in der Diskussion nicht weiterführen. Es ist möglich, dass man sich für CDR-Methoden und gegen RM-Methoden (oder auch umgekehrt) oder gar nur für eine einzelne Methode innerhalb von CDR oder RM positionieren kann.

Immer nur die zweitbeste Lösung

Eine typische Grundannahme, die Ethiker überprüfen, ist beispielsweise die in den 1960er- und 1970er-Jahren verbreitete Überzeugung, dass für Probleme, die politisch nicht gelöst werden können, eine schnelle und bestenfalls günstige technische Lösung (Techno-Fix) gefunden werden muss. Dieses Argument geht davon aus, dass man sich mit Technik jene Zeit kaufen könne (engl.: buying time), die für eine politische Lösung benötigt wird.

Übersetzt in den CE-Kontext heißt das: Weil eine umfassende Umstellung der Weltwirtschaft auf kohlendioxid-neutrale Energiequellen noch etliche Jahrzehnte dauern werde, müsse man Climate Engineering ernsthaft in Erwägung ziehen. Einer solchen Kombination aus „buying time“- und „Techno-Fix“-Argument stehen jedoch mehrere Argumente entgegen.

Ein falsches Gefühl von Sicherheit
Ein in der Debatte besonders wichtiges Argument ist, dass durch die Forschung und Entwicklung von CE-Methoden die mit einem Anstieg der Treibhausgas-Emissionen verbundenen Risiken verstärkt ignoriert werden könnten (engl.: moral hazard). Diesem Denkansatz zufolge könnten sich Menschen aufgrund der theoretischen Machbarkeit von ­Climate ­Engineering in Sicherheit wiegen. Insbesondere mit RM-Methoden als vermeintlichem „Ass im Ärmel“ verschlössen sie die Augen vor den Gefahren des Klimawandels. Mit der Hoffnung, dass sich hierdurch das Schlimmste verhindern ließe, nähme die ohnehin geringe Bereitschaft der Menschen ab, ihre Lebensweise zu ändern und den Wandel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu unterstützen.

Mit dieser Einstellung würde die Menschheit jedoch die Risiken, welche mit den einzelnen Methoden verbundenen sind, in die Zukunft verschieben und ihre Verantwortung für kommende Generationen außer Acht lassen. Wäre ein solches Ignorieren und Weitergeben des Risikos vertretbar? Legt man den Maßstab der intergenerationellen Gerechtigkeit an, dann müssen wir unseren Enkeln und Urenkeln eine Welt hinterlassen, in der sie keine schlechteren Möglichkeiten vorfinden als die heutigen Generationen. Das Gebot verpflichtet uns nämlich, die durchschnittlichen Lebensaussichten in der Zukunft zu verbessern und nicht zu verschlechtern.

Dieses Verschlechterungsverbot gilt besonders für die ärmeren Regionen des Planeten. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, muss die Menschheit den Klimawandel ab sofort so strikt wie möglich begrenzen, Anpassungsstrategien entwickeln und finanzieren und der klima- und umweltbedingten Migration einer großen Zahl von Menschen vorbeugen. Nehmen wir die Generationenverantwortung ernst, sind wir auch verpflichtet zu verhindern, dass CE-Einsätze unsere Nachkommen vor das Dilemma stellen könnten, CE-Methoden trotz schwerwiegender Nebenfolgen fortzusetzen oder aber einstellen zu müssen und dadurch womöglich einen noch rascheren Klima­wandel hervorzurufen. Diese Aussagen gelten besonders für RM Methoden, weil das Strahlungsmanagement die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre nicht reduzieren würde. Mit diesen Methoden würde die Problemlösung ohne weitreichende flankierende Maßnahmen zur CO2-Reduktion in die Zukunft verschoben.

In Teilen gilt diese Risikobetrachtung aber auch für CDR-Methoden, denn auch diese gehen aufgrund ihres notwendigen Umfangs bei klimawirksamer Anwendung mit erheblichen Risiken einher. Solange die Menschheit nämlich weiterhin immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entlässt, bräuchte sie auch immer mehr Landflächen und Meeresgebiete, um diese Emissionen durch geeignete CDR-Methoden zu kompensieren.

Für einige CDR-Methoden, insbesondere Aufforstung, müsste über sehr lange Zeiträume sichergestellt werden, dass der gespeicherte Kohlenstoff nicht irgendwann wieder freigesetzt wird. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und der Notwendigkeit, die Nahrungserzeugung auszuweiten, könnten sich landintensive CDR-Strategien (z. B. die Erzeugung von Bioenergie gekoppelt mit CCS, BECCS) in Hinblick auf die Landnutzung als extrem konfliktträchtig herausstellen. Vielfach können Flächen, die für CDR-Methoden gebraucht werden, nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Auch wären die Auswirkungen von BECCS auf Bodenpreise, Landeigentum und damit auf die landwirtschaftliche Lebensgrundlage vieler Menschen mit zu bedenken. Zudem könnten sowohl Wasserreserven als auch Artenvielfalt zurückgehen, sollten riesige Plantagen schnellwachsender Gräser oder Gehölze angelegt werden. Allein die Frage der Bewässerung von BECCS-Pflanzen verdeutlicht zukünftige Ressourcenkonflikte, wenn man bedenkt, dass bereits heute circa 70 Prozent des Trinkwassers in die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen fließen.

Ist es moralisch vertretbar, unseren energieintensiven Lebensstil beizubehalten und seine Nebenwirkungen auf die kommenden Generationen abzuwälzen? Können wir angesichts des Konfliktpotenzials mit Methoden des Climate Engineerings als Ergänzung zur Emissionsminderung rechnen? Wenn wir Gerechtigkeit zwischen heutigen und künftigen Generationen in Hinblick auf das Weltklima und die Natur als Maßstab unseres Handels verstehen, sind dies Fragen von großer Bedeutung.

erde_gekuschelt.jpg

Die Gefahr der Selbstüberschätzung
Gegen großskalige Eingriffe in das Klima der Erde spricht die Tatsache, dass Menschen dazu neigen, die eigenen Fähig­keiten zu überschätzen. Das gilt auch für Forscher und Ingenieure. Das Argument der Selbstüberschätzung wird als Hybris-Argument bezeichnet. Der Begriff hybris stammt aus dem Altgriechischen und wird mit Übermut und Anmaßung übersetzt.

Selbst nach Jahren intensiver Forschung zu den verschiedenen Methoden des Climate Engineerings wäre es leichtfertig zu glauben, wir Menschen würden die Wirkungsweise dieser Methoden auf die zu beeinflussenden Systeme im vollen Umfang verstehen und beherrschen – zumal viele der Methoden technisch noch gar nicht realisiert sind und auch nicht ohne Weiteres im Freiland erprobt werden können. Dies betrifft insbesondere das Ausmaß ihrer beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen, ihren Einfluss auf das politisch-soziale Gefüge und damit auch auf deren Kosten und Folgekosten. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge des Einsatzes von CDR- wie RM-Methoden neue Problemfelder entstehen werden.

Ein Abschied von der natürlichen Welt
Ein drittes Argument gegen Climate Engineering resultiert aus der Frage, inwiefern insbesondere Methoden zum Strahlungsmanagement unser Verhältnis zur Natur verändern würden. Bedeuten technische Eingriffe in das Klima den endgültigen Abschied vom natürlichen System Erde? Aus der Tatsache, dass wir das Weltklima unwillentlich durch die Nutzung fossiler Energie verändert haben, folgt jedenfalls nicht, dass wir es auch absichtsvoll beeinflussen dürfen. Die gezielte Steuerung der Klimaabläufe in die Hand zu nehmen, hieße, das Vertrauen in die Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit von Eingriffen in das Erdgeschehen auf die Spitze zu treiben.

Als Ausdruck der totalen menschlichen Dominanz über die Natur werden bislang vor allem Methoden zum Strahlungsmanagement diskutiert. Maßnahmen wie die Wiederaufforstung von Wäldern stehen nicht notwendigerweise im starken Gegensatz zum Naturschutzgedanken, wonach Menschen die Natur respektieren und den eigenen Einfluss reduzieren sollten. Es wäre durchaus möglich, CDR-Strategien mit Strategien zur Anpassung des Naturhaushaltes an den Klimawandel, zum Erhalt der Biodiversität und zur Renaturierung zu verbinden. Dies betrifft vor allem Wälder, Moore und Böden und wird in diesem Kontext auch als Natural Climate Solutions bezeichnet. Allerdings können großflächig angelegte renaturierende Maßnahmen ebenfalls große Eingriffe in Ökosysteme sein. Damit könnten auch sie in Konkurrenz mit anderen Nachhaltigkeitszielen wie der Nahrungsmittelproduktion stehen. Wenn die Speicherung relevanter Mengen von Kohlenstoff über lange Zeiten sichergestellt werden soll, werden auch naturnahe Maßnahmen in der Regel ein aktives Management – das heißt: ein Eingreifen in die Natur – erfordern.

stammbaum.jpg

Die Frage nach den wichtigsten Zielen
Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele formuliert, die eine nachhaltige Entwicklung auf der Welt sichern sollen – die Sustainable Development Goals (SDGs). Eines dieser Nachhaltigkeitsziele lautet, den Klimawandel einzudämmen. Es geht in der UN Nachhaltigkeitsstrategie aber auch um Armuts­bekämpfung, Ernährungssicherheit, Frieden, natürliche Ressour­cen und um Wasserversorgung. Die Umsetzungsaufgabe ist komplex und die Herausforderung für die Menschheit groß. Angesichts der Komplexität ist es offensichtlich, dass jede CE-Methode das Potenzial besitzt, in Konflikt mit diesen UN-Nachhaltigkeitszielen zu geraten. Dies gilt insbesondere für Wasserreserven, Artenvielfalt und Ernährungssicherheit. Aber auch positive Effekte sind möglich – beispielsweise die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit durch die Anreicherung von Ackerböden mit Gesteinspulver (beschleunigte Verwitterung). CDR-Methoden, die positive Wechselwirkungen mit anderen SDGs realistischerweise erwarten lassen, verdienen daher besondere wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit.

Im Falle eines Einsatzes von CDR- oder RM-Methoden sind je nach Methode Situationen denkbar, in denen Ziele gegen einander abgewogen werden müssten. Ein Beispiel wären auch hier landbasierte CDR-Methoden wie der Anbau von Pflanzen zur Bioenergie- oder Pflanzenkohlegewinnung: Ihr groß­flächiger Einsatz könnte den Schutz der Artenvielfalt sowie eine ausreichende Lebensmittelproduktion gefährden. Wie solche Konflikte gelöst werden könnten, wird kontrovers diskutiert. Entscheidend wird am Ende sein, welche Prioritäten gesetzt werden, wer profitieren soll oder darf und wer nicht. Diese Fragen wiederum sind Wertefragen und damit ein grundlegendes ethisches Thema. Eine politische Antwort darauf sollte nur auf Basis ausreichender ethischer Argumente erfolgen. Einen simplen Algorithmus für die Lösung der Zielkonflikte wird es kaum geben. Umso wichtiger sind übergeordnete politische Strukturen der Entscheidungsfindung.

Wie überzeugend sind die ethischen Argumente für Climate Engineering?

Trotz dieser kritischen Argumente gegen CDR- und RM-Methoden gibt es auch Aspekte, die für eine Erforschung und einen möglichen Einsatz der Methoden sprechen. Die zentralen Argumente sind – in einfachen Worten zusammengefasst – folgende:

 das Argument der Generationenverantwortung
Die Folgen des Klimawandels werden vor allem die kommenden Generationen treffen. Aus diesem Grund müssen wir unsere Nachkommen mit Kenntnissen über CDR- und RM-Methoden ausstatten, sodass sie eines Tages eigenständig über deren Einsatz entscheiden können. – Man bezeichnet dieses Argument auch als „arming the future“-Argument.

→ das Argument der Notfallregulierung
Wir brauchen klimaregulierende Methoden, um in Notfallsituationen schnell und wirksam in das Klima eingreifen zu können. Dieses Argument wird als „emergency“-Argument bezeichnet und gilt nur für RM.

→ das „buying time“-Argument
Durch den zeitlich begrenzten und dosierten Einsatz von RM-Methoden kann die Menschheit Zeit gewinnen, die Treibhausgas Konzentration in der Atmosphäre durch CDR im großen Stil umfassend zu reduzieren, ohne dass es währenddessen zu einer weiteren Erwärmung kommt.

→ das Argument des kleineren Übels
Sollte es der Menschheit nicht gelingen, die Treibhausgas Emissionen schnell genug zu verringern, wären die Übel eines CDR oder RM-Einsatzes geringer als die eines Nicht-Einsatzes. – Dieses Argument ist auch als „lesser-evil“-Argument bekannt.