Ausblick: Wie könnte der Einstieg in eine Welt aussehen, deren Klima gezielt beeinflusst wird?

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Ob Climate Engineering jemals zum Einsatz kommen wird, ist offen. Letztlich dürfte es vom Potenzial und den Risiken einer Methode abhängen, ob sie tatsächlich genutzt werden wird. Vorstellbar sind verschiedene Einstiegsszenarien in eine mögliche Zukunft, in der unser Klima gezielt und im großen Maßstab beeinflusst wird. Manche zeichnen einen schrittweisen Einstieg in die Anwendung von CDR-Methoden. Andere erwarten für die Zukunft eher einen Notfalleinsatz.

Vor einem groß angelegten Einsatz einer jeden RM- und CDR-Methode wären noch viele Detailfragen zu beantworten; nicht nur zur Verwaltung und Steuerung solcher Einsätze, sondern auch zu Potenzial, Machbarkeit und Nebenwirkungen der verschiedenen Methoden. Die Beantwortung solcher Fragen ist schwierig, weil bei vielen CDR- oder auch RM-Methoden selbst kleinräumige Feldexperimente nicht genügen werden, um deren Grenzen und Nebenwirkungen vor einem groß­flächigen Einsatz abzuschätzen. Es werden demzufolge immer Wissenslücken und Unsicherheiten bleiben. Die wissenschaftlichen Analysen, basierend auf Szenarien zukünftiger Entwicklungen, dienen sowohl der integrierten Folgenabschätzung als auch der Identifizierung und Quantifizierung von Unsicherheiten.

Theoretisch könnte jeder Staat Methoden des Climate ­Engineerings anwenden, wenn er dabei ausschließen kann, dass Nachbarstaaten in Mitleidenschaft gezogen werden. Doch eine solche Einschätzung ist kaum möglich, denn im großen Maßstab angewandt können sowohl RM- als auch CDR-Maßnahmen grenzüberschreitende negative Umweltauswirkungen haben, wobei die Effekte landbasierter CDR-Methoden typischerweise regional begrenzter sind als die anderer CE-Methoden. Eine Folge von grenzüberschreitenden Effekten könnten politische Spannungen sein. Aus diesem Grund muss es international abgestimmte Verfahrensregeln sowie Institutionen zur Regelung von Streitfällen geben, bevor mit einem Einsatz von CE-Methoden begonnen werden könnte.

In der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre wurde immer wieder starke Kritik an Climate Engineering geäußert, zum Beispiel im Hinblick auf Risiken und Nebenwirkungen, Nachhaltigkeit oder moralische Gesichtspunkte. Insofern stellt sich die Frage, ob oder unter welchen Umständen ein Einsatz von CDR- oder RM-Methoden in Zukunft überhaupt denkbar ist. Manche Experten halten es für realistisch, dass CDR-Methoden mit einer Strategie der kleinen Schritte eingeführt werden könnten. Wie das Beispiel des Aufforstens zeigt, könnte der Übergang zwischen heutigen Klima- und Naturschutzschutzmaßnahmen hin zu einem klimarelevanten CDR-Einsatz fließend sein. Ferner hält man es durchaus für realistisch, dass bestimmte Methoden in der Energielandschaft der Zukunft ihren festen Platz neben Effizienz- oder Klimaschutzmaßnahmen haben werden: ein Szenario, das kein Schwarz-Weiß-Bild, „Einsatz ja oder nein“, zeichnet.

Die folgenden Beispiele zeigen exemplarisch denkbare Wege und Szenarien für einen Übergang in eine Welt, in der das Klima gezielt und im großen Maßstab technisch beeinflusst wird. Diese Zusammenstellung ist wertungsfrei und hat allein das Ziel, den Bogen denkbarer Szenarien aufzuspannen und vorstellbar zu machen.

1. Gradueller Übergang von Klimaschutz zur Kohlendioxid-Entnahme

Schon lange bieten verschiedene Unternehmen ihren Kunden die Möglichkeit, deren durch Flugreisen oder Konsum entstandenen Kohlendioxid-Emissionen zu kompensieren. Die Kunden zahlen für jedes erworbene Produkt oder jede geflogene Meile eine gewisse Geldsumme, mit der dann in geeigneten Regionen der Welt zum Beispiel Wiederaufforstungsprojekte finanziert werden. Die Unternehmen profitieren auf diese Weise vom Imagegewinn und generieren einen Wettbewerbsvorteil. Die Kunden wiederum können so den eigenen Kohlendioxid-Fußabdruck reduzieren, ohne dafür ihren Lebensstil grundsätzlich ändern zu müssen. Das standortgemäße Aufforsten sowie die Renaturierung von Mooren und Küstenökosystemen (Seegraswiesen, Mangrovenwälder) werden dadurch in diesem Szenario ausgeweitet. Auf Weide- und Ackerflächen wird die Speicherung von Kohlenstoff durch Einbringung von Pflanzenkohle und durch gezielte Bewirtschaftung erhöht. Dadurch können auch die Bodenfruchtbarkeit und die Widerstandsfähigkeit der Agrarökosysteme verbessert werden. Diese Maßnahmen sind auch mit dem Gedanken des Naturschutzes vereinbar. Dabei muss aber, belegt durch Messungen oder Computermodellierungen, gewährleistet sein, dass die Netto-Klima-Bilanz positiv ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass bei der Renaturierung von Feuchtgebieten und Mooren nicht eine verstärkte Emission des Treibhausgases Methan der Kohlendioxid Aufnahme entgegenwirken darf.

Tatsächlich wird der Atmosphäre hiermit eine beträchtliche Menge Kohlendioxid entnommen. Allerdings reichen diese Maßnahmen nicht aus, um den Klimawandel zu begrenzen. In dem Szenario steigt deshalb die Nachfrage nach Kompensationsmaßnahmen. Die Methoden werden in den Emissionshandel einbezogen, was sich bei steigendem Kohlendioxid-Preis rechnet. Eine Finanzierung über internationale Ausgleichsmechanismen wird angedacht. Die umgesetzten Methoden erreichen ein Ausmaß, bei dem es auch zu Konflikten mit anderen Zielen der Menschheit kommt: Konflikte um Wasser, um Land für die Nahrungsmittelproduktion und in Sachen Naturschutz – beispielsweise bezüglich der Artenvielfalt. In Computermodellen wird außerdem nachgewiesen, dass die großflächigen Aufforstungsprojekte die Niederschlagsmuster verändern. Was in einzelnen Staaten begann, ohne dass die Bevölkerung oder die Nachbarstaaten zu Schaden kamen, erreicht nun ein Ausmaß, welches eine enge Kooperation zwischen allen Beteiligten, vom Landwirt über die Verbraucher bis hin zu den Politikern, erfordert. Die Politik erkennt – wenn auch spät – den Steuerungsbedarf und setzt mithilfe internationaler Gremien Kontroll- und Steuerungsmechanismen ein.

2. Kohlendioxid-Entnahme als integraler Bestandteil einer ambitionierten Klimapolitik

In diesem Szenario haben die Vertragsstaaten des Klimaübereinkommens von Paris bis zum Jahr 2030 die vereinbarten nationalen Ziele (Nationally Determined Contributions, NDC) zur Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen erfüllt. Gleichzeitig wird eine politische Initiative gestartet, mit der die Reduktion der Emissionen nach 2030 noch verstärkt wird. Damit soll das langfristige 2-Grad-Ziel erreicht werden. Zu dieser international abgestimmten und differenzierten Klimapolitik ab dem Jahr 2030 gehört auch die Erhöhung des Kohlendioxid-Preises, was zu einer drastischen Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen beiträgt. Zudem wird der Strom- und Wärmesektor durch eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien dekarbonisiert. Der Verkehrssektor wird größtenteils elektrifiziert, weshalb viele Emissionen durch Benzin und Diesel entfallen. Energiesparmaßnahmen werden umgesetzt. Dennoch zeigt sich, dass alle diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen: Um eine Stabilisierung der Temperatur zu erreichen, müssen die Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in allen Ländern auf null sinken, aus Gründen der Gerechtigkeit zuerst in den reicheren Ländern. Doch einige Emissionsquellen bleiben. So werden Treibhausgase noch immer in der Industrie und der Landwirtschaft freigesetzt. Zudem zeigt sich, dass die ambitionierte Klimapolitik zu spät gekommen ist und dass das verbleibende Budget für 2 Grad Celsius in absehbarer Zeit überschritten werden wird. Deshalb beginnen die industrialisierten Länder, massiv CCS-Infrastrukturen aufzubauen, um so ihre Industrie-Emissionen zu reduzieren und aus der Atmosphäre mittels Direct Air Capture entnommenes CO2 einzulagern. So werden noch vorhandene Restemissionen ausgeglichen und zunehmend auch das bereits überschrittene Budget kompensiert. Regierungen, die ihre CCS-Infrastruktur nicht schnell genug ausbauen konnten, stehen vor der Herausforderung, dass CO2-Emissionszertifikate importiert werden müssen, um die noch vorhandenen Restemissionen auszugleichen. Beim Import von Zertifikaten aus tropischen Ländern muss aber beachtet werden, dass massive Aufforstung und Biomasse-Anbau einen hohen Landbedarf haben, der zur Vertreibung indigener Bevölkerung, zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und zu Auswirkungen auf die Artenvielfalt sowie den Wasserkreislauf führen könnten. Gleichzeitig könnten die sich entwickelnde BECCS-Industrie und der Verkauf von Emissionsrechten zu vermehrtem Wohlstand, mehr Arbeitsplätzen und verbesserter Lebensqualität führen. Um die Voraussetzungen für eine faire und nachhaltige Ausgestaltung der Politikinitiative zu schaffen, wird Technologieentwicklungs- und -transferpolitik betrieben. Über die Emissionen von Treibhausgasen und die Verminderung des Kohlendioxids in der Atmosphäre durch die Kohlendioxid-Entnahme führt eine internationale Behörde Buch. Diese stimmt die Maßnahmen zudem international ab.

3. Küstenländer setzen CE-Methoden im Meer ein

Für Küstenländer wäre ein anderes, naheliegendes Szenario für den Einstieg in Climate Engineering denkbar: Die Staaten setzen in ihren Hoheitsgewässern als Teil ihrer Klimaschutzstrategie ozeanbasierte Technologien zur Kohlendioxid-Entnahme ein. Zunächst wird das Einbringen alkalischer Materialien beim Bau von Küstenschutzanlagen etabliert, wodurch praktische Erfahrungen über das Lösungsverhalten, CO2-Entnahmepotenzial und ökologisch tolerierbare Grenzwerte gewonnen werden. Die Küstenländer setzen durch, dass das gezielte Auflösen von alkalischem Gesteinsmehl im europäischen Emissionsrechtehandel verrechnet werden kann, solange enge Grenzwerte für die Wasserchemie eingehalten werden. Dies schafft finanzielle Anreize, die dazu führen, dass viele Unternehmen die Technologie der Einbringung von Basaltstaub vorantreiben. Aufgrund strenger Umweltauflagen beim Abbau von Basalt, der hohen Transportkosten und der engen Grenzwerte für die Chemie des Meereswassers gehen einzelne Unternehmen dazu über, den Abbau und das Einbringen von Basaltstaub in den Ozean nach Australien zu verlagern. Nach einer Erweiterung des europäischen Emissionshandelssystems auf Australien beginnt die dortige Bergbauindustrie mit dem Basaltabbau in großem Maßstab, um die CO2-Entnahme durch künstliche Verwitterung im Ozean voranzutreiben. Nach einem Jahrzehnt wird eine jährliche CO2-Entnahme von einer Milliarde Tonnen CO2 alleine in europäischen und australischen Hoheitsgewässern erreicht. Vor den Küsten Australiens kommt es aber aufgrund der dortigen laxen Umweltbestimmungen immer wieder zu großen Algen- und Fischsterben. Die Erweiterung von internationalen Abkommen zum Schutz mariner Ökosysteme um das Einbringen von Bastaltstaub führen zu verbindlichen, einzuhaltenden Obergrenzen für die chemische Beeinflussung des Meerwassers weltweit.

4. Regen nach Bedarf

Von neuen Forschungsergebnissen ermutigt, versuchen China, Saudi-Arabien und Indien etwa ab dem Jahr 2030 durch Wolkenmodifikation den Niederschlag auf ihren Gebieten zu regulieren. Viele andere Länder blicken interessiert auf die Möglichkeit, dadurch die landwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen und angenehmere Wetterbedingungen zu schaffen. Auch wenn der Erfolg der Maßnahmen umstritten ist, steigt die Nachfrage nach Wolkenmodifikation. Unternehmen investieren in die weitere Erforschung und Entwicklung der Technologie. Ein neuer Industriezweig entsteht – ein neues Zeitalter der landwirtschaftlichen Produktion wird eingeläutet. Global kommt es zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Wolken. Kontrollierten Niederschlag gibt es für alle – die es sich leisten können.

Zusätzlich treten lokale Temperatureffekte ein. Das Grundprinzip scheint zu funktionieren, deshalb wird damit begonnen, marine Schichtwolken zu modifizieren, um gezielt dem weltweiten Temperaturanstieg entgegenzuwirken. Stimmen, die vor möglichen Veränderungen der Ozeanströmungen und den daraus resultierenden Veränderungen des globalen Klimasystems warnen oder auf negative Folgen wie das Ausbleiben von Regen in Gebieten, in denen die Wolken nicht modifiziert werden, hinweisen, werden überhört. Die meisten sind von den Vorteilen des neuen Wetters überzeugt. Außerdem versichert die wolkenmodifizierende Industrie, dass ihre Technologie keine nennenswerten Nebenwirkungen hat.

5. Zunahme der Wetterextreme macht Strahlungsmanagement erforderlich

Um das Jahr 2030 herum wird immer klarer, dass die meisten Staaten ihre erklärten Ziele zur Emissionsreduktion weiterhin deutlich verfehlen. Extreme Wetterereignisse wie Dürren, tropische Stürme und Überschwemmungen treten weltweit immer häufiger auf. In den Augen der Öffentlichkeit reichen die Maßnahmen zur Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes und zur Anpassung an die Klimaveränderungen nicht mehr aus, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. In vielen Ländern werden die Stimmen lauter, die die Einbringung reflektierender Partikel in die Stratosphäre fordern, weil es schneller wirkt als die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen oder CDR-Methoden. Neben den direkt betroffenen Staaten wird der Einsatz auch von Staaten unterstützt, die den Folgen von Meeresspiegelanstieg oder Gletscherschwund stark ausgesetzt sind, sowie von verschiedenen NGOs. Eine Koalition der Willigen bildet sich, welche den Einsatz der RM-Methoden vorantreibt, obwohl die langfristigen Auswirkungen noch nicht absehbar sind. Kritiker befürchten, dass die Methode die Senkung des Treibhausgas Ausstoßes ganz in den Hintergrund drängen wird, wenn sie erst einmal eingesetzt wird. Die Befürworter verpflichten sich deshalb, den Einsatz von RM-Methoden mit dem verstärkten Einsatz von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung und Kohlendioxid-Entnahme zu verbinden. Es wird eine internationale Organisation zur Überwachung und Kontrolle des RM Einsatzes und der Treibhausgas-Einsparung geschaffen. Aber viele Fragen bleiben offen: Werden die Versprechungen auch eingehalten werden? Hat die neue internationale Organisation ausreichend Durchsetzungskraft, um den Einsatz zu kontrollieren und zu begrenzen? Wird es durch die Einbringung reflektierender Partikel tatsächlich überall weniger Extremereignisse geben, oder werden bald Rufe erklingen, damit wieder aufzuhören?

Tut CE-Forschung not?

Ob eines der hier skizzierten Szenarien so oder in ähnlicher Form tatsächlich eintreten wird, ist natürlich völlig offen. Noch gibt es viel zu wenige Erkenntnisse zur Wirksamkeit und zu den Folgen der verschiedenen RM- und CDR-Methoden sowie dazu, wie deren Anwendung politisch gestaltet werden könnte. Das Thema findet auf der politischen Agenda weltweit nach wie vor kaum Beachtung. In Anbetracht der Tatsache, dass zumindest CDR-Methoden vermutlich zu einer ernstzunehmenden Option im Kampf gegen den Klimawandel werden könnten, ist dies eine unbefriedigende Situation. Die Erforschung der verschiedenen Methoden und Möglichkeiten einer möglichst konfliktfreien Anwendung ist von großer Relevanz sowohl für die Bewertung unserer zukünftigen Optionen im Umgang mit dem Klimawandel als auch für die bewusste Gestaltung unserer Zukunft unabhängig davon, ob diese Methoden künftig tatsächlich eingesetzt werden oder nicht. ◆