CE juristisch betrachtet

Keine RM-Forschung ohne Investitionen in Emissionsvermeidung

Können die oben angeführten Argumente überzeugen?Richtig ist, dass mit jeder Tonne Kohlendioxid, die heute freigesetzt wird, der Handlungsdruck auf künftige Generationen steigt. Denn sie müssen in noch kürzerer Zeit mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen, wenn die Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf unter 2 Grad Celsius begrenzt werden soll. Die Anforderungskurve wird also umso steiler, je länger wirksame Klimaschutzmaßnahmen hinausgezögert werden.

Die wohlmögliche Not kommender Generationen als Argument zu nutzen, heute schon RM-Methoden zu entwickeln, anstatt entschlossen Maßnahmen zur Emissionsminderung umzusetzen, bezeichnen einige Experten – auch angesichts der genannten Gefahr eines moral hazard – als unredlich. Wer nicht bereit sei, seinen eigenen Lebensstil den Klima­zielen anzupassen, der dürfe auch nicht mit dem Argument der Zukunftssicherung in die Erforschung und -Entwicklung von RM-Methoden investieren. Diese Auffassung bezeichnet man auch als Konditionalitätsargument. Einem Staat sollte also nur dann der Einstieg in RM Forschung und -Entwicklung erlaubt sein, wenn er bestimmte klimapolitische Bedingungen erfüllt. Diese Bedingungen beziehen sich auf die klimapolitische Integrität und die Vertrauenswürdigkeit eines Staates. Welchen Akteuren kann man angesichts der genannten Risiken und der Neigung zur Hybris die RM-Methoden guten Gewissens anvertrauen, und wer entscheidet darüber Einige Umweltethikerinnen und -ethiker des DFG-Schwerpunktprogramms haben daraus ein RM-Forschungsprinzip entwickelt. Es besagt, dass Staaten nur dann Forschung zum Strahlungsmanagement betreiben dürfen, wenn sie eine ambitionierte Klimapolitik betreiben und angemessene Beiträge in internationale Klima-Ausgleichsfonds einzahlen. Dieses Konditionalitätsargument bezieht sich vor allem auf Freilandforschungen auf unterschiedlichen Skalen. Laborforschungen und Modellberechnungen fallen dagegen unter das Prinzip der Forschungsfreiheit.

Notfallszenario: ein Spiel mit dem Feuer

Argumente, die sich für den Einsatz klimaregulierender RM-Methoden in Notfallsituationen aussprechen, sind ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Die entscheidende Frage hierbei lautet: Was überhaupt ist ein Klima-Notfall? Dieser existiert ja nicht einfach, sondern muss ausgerufen werden. Als Beispiele werden häufig die sogenannten Kipppunkte (engl.: ­tipping points) des Klimasystems angeführt. Gemeint sind weitreichende Veränderungen des Klimas, in deren Zuge sich die Lebensbedingungen für Abermillionen Menschen verschlechtern würden. Dazu zählen unter anderem das Abschmelzen des Westantarktischen Eisschildes, eine Abschwächung der Wassermassen-Umwälzung im Nordatlantik sowie das Ausbleiben des Monsunregens in Westafrika.

Zwar scheint es so zu sein, dass durch Eingriffe in den Strahlungshaushalt der Erde der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zumindest für die Dauer des RM-Einsatzes verringert werden könnte. Fraglich bleibt allerdings, ob es mithilfe des Strahlungsmanagements gelingen würde, das Überschreiten einiger der diskutierten Kipppunkte zu verhindern. Zum einen sind die Veränderungen vermutlich bereits im vollen Gang, bevor wir Menschen die ersten eindeutigen Anzeichen eines Kipppunktes überhaupt wahrnehmen. Zum anderen würden aufgrund der Trägheit der betroffenen Prozesse auch drastische Maßnahmen unter Umständen keinen relevanten Einfluss mehr ausüben. Ein Überschreiten des Kipppunktes könnte zu diesem Zeitpunkt kaum mehr verhindert werden. In anderen Fällen könnte die Verlangsamung des Temperaturanstiegs jedoch dazu führen, gefährliche Rückkopplungsprozesse abzuschwächen. Eine schnelle Abkühlung der Erde könnte beispielsweise das Tauen des arktischen Dauerfrostbodens aufhalten und auf diese Weise verhindern, dass große Mengen des im Boden gespeicherten Methans austreten.

Es wäre auf jeden Fall naiv zu glauben, dass eine Notstands­debatte im Zusammenhang mit drastischen Klimaveränderungen und Kipppunkten allein auf Basis wissenschaftlicher Fakten geführt werden könnte. Ausnahme- oder Notstands­situationen müssen stets als solche politisch deklariert werden. Ein solches Vorgehen setzt voraus, dass sich eine Gesellschaft einig ist, unter welchen Voraussetzungen ein Notstand erklärt werden darf. Genügt ein rasanter Anstieg des Meeresspiegels oder jahrelange Trockenheit in bestimmten Regionen, um den Klima-Notstand auszurufen, oder bedarf es zusätzlich politischer und sozialer Unruhen? Wann also ist ein Ereignis so schlimm, dass es als Notfall gedeutet werden muss, aufgrund dessen der Einsatz von Methoden des Strahlungsmanagements legitim ist? Hätten beispielsweise die vom Hurrikan Katrina verursachten Überschwemmungen in New Orleans genügt, den planetaren Klima-Notstand auszurufen?

In Wirklichkeit spielen bei der Bewertung außergewöhnlicher Situationen immer auch unterschiedliche Wertvorstellungen, Wahrnehmungen und Interessen eine Rolle. Die Entscheidung über einen Ausnahmezustand – egal ob klimabezogen oder nicht– ist immer ein politischer Akt, im Zuge dessen auch politische Interessen verfolgt werden. Besonders bedenklich ist der Umstand, dass Notstandssituationen demokratische Prinzipien außer Kraft setzten können. Auf diese Weise verleihen sie einigen Menschen Macht und Handlungsoptionen, die es ohne Ausnahmezustand nicht gäbe oder die unter normalen Umständen unrechtmäßig wären. Schon aus diesem Grund warnen Philosophen, Umweltethiker und Sozialwissenschaftler davor, das Argument der Notfallregulierung in der CE-Debatte unkritisch zu übernehmen.

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Strahlungsmanagement als möglicher Weg, Zeit zu gewinnen – unter drei Bedingungen

Trotz alledem weckt die Vorstellung, die Temperatur schnell und wirksam durch Strahlungsmanagement reduzieren zu können, auch Hoffnung. Die Menschheit könnte auf diese Weise Zeit gewinnen, die dringend gebraucht wird, um Technologien für ein emissionsneutrales Leben zu entwickeln, Klima­schutzmaßnahmen umzusetzen und ausreichend Kohlen­dioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Dieser Denkansatz ist aus Sicht einiger Wissenschaftler das einzige überzeugende Argument für einen Einsatz von RM-Methoden, wobei jede Form der Anwendung an drei Bedingungen geknüpft wäre.

→ Erstens bräuchte es eine klare Einsatzstrategie, die auf Basis umfangreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt werden müsste. Da diese Forschungsergebnisse bislang aber noch fehlen, müsste in den kommenden Jahrzehnten viel geforscht und getestet werden, bevor die Menschheit tatsächlich großflächig in den Strahlungshaushalt der Erde eingreifen dürfte. Man müsste zeitnah von kleinskaligen Experimenten zu Testversuchen im großen Maßstab übergehen, wobei die Grenze zwischen Experiment und Testversuch fließend wäre. Zweitens müsste im Sinne des Konditionalitätsargumentes ein solcher Einsatz von großen Investitionen in Emissionseinsparungen und in ökologisch vertretbare CDR-Maßnahmen begleitet werden, um nicht nur die Symptome der Erderwärmung zu bekämpfen, sondern auch deren Ursache.

→ Drittens müsste der Einsatz im Sinne generationsübergreifender Gerechtigkeit von Anfang an zeitlich begrenzt sein. Die Initiatoren der Strahlungsmanagementmaßnahmen bräuchten demzufolge eine klare Ausstiegsstrategie, deren Umsetzung kontrolliert werden müsste. Der Ausstieg dürfte nicht abrupt, sondern müsste kontinuierlich erfolgen. Das „buying time“ Argument setzt also ein großes moralisches und politisches Vertrauen in jene Akteure voraus, die diesen Weg beschreiten.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass zwei fundamentale Einsichten bei allen Überlegungen zu Climate Engineering beachtet werden sollten: Erstens kann und darf der Einsatz von CE-Methoden kein Ersatz für die drastische Drosselung der Treibhausgas-Emissionen sein. Der Grundsatz muss sein, dass die Ursachen für Probleme behoben werden müssen. Zweitens wird das Verschieben von Risiken in die Zukunft durch den Einsatz von CE-Methoden nicht beendet. Im Gegenteil: Unter bestimmten Umständen kann der CE-Einsatz die Risiken für kommende Generationen sogar noch vergrößern. Diese Einsichten gelten im Prinzip für CDR-Methoden mit nicht-permanenten CO2-Speichern und RM-Methoden gleichermaßen. Unterschiedlich sind und bleiben die spezifischen Risikoprofile der verschiedenen CDR- und RM-Methoden. Eine drastische Reduktion der Emissionen in Verbindung mit renaturierenden Methoden und großzügigen Anpassungshilfen, die den Zielen der SDGs förderlich sind, könnte ein risikoärmeres Zukunftsszenario ergeben. Dieses würde es aus (umwelt-)ethischer Sicht verdienen, in Wissenschaft und Politik mehr beachtet und prioritär im Hinblick auf Potenzial und Nebenwirkungen untersucht zu werden.

Sprechen rechtliche Argumente für oder gegen einen Einsatz von Climate Engineering?

Die grundsätzliche Frage, ob die Erforschung und der Einsatz von CE-Methoden rechtmäßig ist, ist auf Basis des Völkerrechts zu beurteilen, sofern sich die Folgen eines CE-Experiments oder -Einsatzes nicht auf das Staatsgebiet eines (ausführenden) Staates begrenzen ließen und Auswirkungen auch in den Nachbarstaaten oder darüber hinaus zu spüren wären.

Das Völkerrecht kennt bislang keine Normen, welche die Erforschung bzw. den Einsatz von Climate Engineering allgemein und umfassend regeln. Es gilt auch als unwahrscheinlich, dass sich die Staatengemeinschaft eines Tages auf einen umfassenden völkerrechtlichen Vertrag zum Climate Engineering einigen wird. Zu unterschiedlich sind die Interessen der National­staaten und die Methoden von RM und CDR. Bislang gibt es nicht einmal eine völkerrechtlich verbindliche Definition von Climate Engineering. Ob bestimmte CE-Methoden zulässig sind oder nicht, wird stattdessen für jede Methode einzeln auf Grundlage des einschlägigen Völkervertrags- und Völker­gewohnheitsrechts beurteilt.

Diese Einzelfallregelung hat zwei Vorteile: Erstens erfolgt die rechtliche Prüfung stets im Sachzusammenhang. Das heißt zum Beispiel, dass ein geplantes RM- oder CDR-Vorhaben immer auf Grundlage eines kontextbezogenen Spezialvertrags geprüft wird. Bei Projekten zur Eisendüngung der Meere wäre dies das Protokoll zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen (London Protocol, siehe EXKURS: Internationale Abkommen). Im Falle von CE Experimenten zur Wolkenbildung wären unter anderem Übereinkommen zur weiträumigen grenzüberschreitenden Luftverschmutzung sowie zum Schutz der Ozonschicht relevant. Der zweite Vorteil ist, dass die Staatengemeinschaft eher bereit ist, das bestehende Völkerrecht an neue Anforderungen anzupassen, wenn dies behutsam und Schritt für Schritt geschieht. Ohne eine große Mehrheit oder sogar Konsens unter den Nationalstaaten sind Änderungen ausgeschlossen.

Im Pariser Klimaabkommen verpflichten sich die Vertragsparteien dazu, mehr Kohlendioxid-Senken einzurichten und somit die Speicherkapazität für das Treibhausgas zu erhöhen. Verfahren zur Kohlendioxid-Entnahme wie Wiederaufforstung und Bioenergie-Gewinnung mit Kohlendioxid-Abscheidung und -speicherung (BECCS) werden zwar nicht explizit im Vertragswerk genannt, sind aber indirekt mit enthalten. Technologien des Strahlungsmanagements (RM) sind dagegen ausgeschlossen, weil sie kein Kohlendioxid binden. Den Begriff Climate Engineering vermeiden die Autoren des Pariser Klimaabkommens.

Nach eingehender Analyse der einzelnen CE-Methoden kommen Rechtswissenschaftler zu dem Schluss, dass Maßnahmen zur Kohlendioxid-Entnahme tendenziell weniger rechtliche Bedenken hervorrufen als Maßnahmen zum Strahlungsmanagement. Für alle CE-Methoden gilt jedoch, dass im Falle eines Einsatzes der ausführende Staat zumindest dem Präventionsgrundsatz folgen (für das Vorsorgeprinzip ist dies noch immer umstritten) und gebührende Rücksicht auf bestehende Rechte und die territoriale Integrität anderer Staaten nehmen muss. Dazu gehört zum Beispiel auch die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, bevor über die Machbarkeit eines CE-Projekts entschieden werden kann. Sollte ein Staat allein, das heißt ohne Absprachen und ohne vorherige Prüfung, einen solchen CE-Einsatz planen und sollte dieser Auswirkungen auf Nachbarstaaten haben, wäre diese Maßnahme völkerrechtswidrig. Doch selbst wenn er alle Auflagen erfüllen würde, bliebe die finale Entscheidung eine Risikoabwägung. ◆