Realitätscheck: Ernst gemeinter Klimaschutz heisst Veränderung

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Bis zum Jahr 2040 wird der weltweite Energiebedarf um 30 Prozent anwachsen. Gleichzeitig muss die Menschheit ihre Treibhausgas-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf null reduzieren, wenn die Erderwärmung nicht über 2 Grad Celsius steigen soll. Um beide Ziele zu erreichen, bedarf es tiefgreifender Maßnahmen.

China, Australien und Indien gehen voran. Im Jahr 2017 investierten diese Länder mehr in den Ausbau erneuerbarer Energien als in den Neubau von Kohle- oder Gaskraftwerken. Strom aus regenerativen Quellen wie Solar- und Windkraft, Biogas­anlagen und kleineren Wasserkraftwerken macht inzwischen 12,1 Prozent der weltweit erzeugten Strommenge aus – Tendenz steigend, auch weil die Preise für Photovoltaikanlagen, Windturbinen und Lithiumbatterien fallen. Energiemarkt-Experten sagen voraus, dass es im Jahr 2030 in manchen Regionen der Welt billiger sein wird, Solaranlagen zu installieren, als Kohle in alternden Kraftwerken zu verbrennen. 

Dennoch sind diese Fortschritte in Hinblick auf die Treibhausgas-Bilanz der Erde nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. 81 Prozent des aktuell produzierten Stroms stammen noch immer aus fossilen Quellen. Hinzu kommen die Emissionen, die durch den Verkehr, die Industrie sowie die Landwirtschaft freigesetzt werden. Ihre Gesamtsumme steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. 

Im Klimaabkommen von Paris 2015 haben sich die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen durch nationale Klimaschutzbeiträge deutlich zu reduzieren oder auf geringem Niveau zu halten. Diplomatisch war dieses Versprechen ein großer Erfolg. Analysen der Vereinten ­Nationen zeigen aber, dass die angekündigten nationalen Klimaschutzbeiträge bei Weitem nicht ausreichen, um das 2-Grad-Ziel – geschweige denn das 1,5-Grad-Ziel – zu erreichen. Auch wenn alle angekündigten Versprechen zur Emis­sionsreduktion eingelöst werden würden, steuert die Welt zurzeit auf eine Erwärmung von 2,2 bis 3,6 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zu.

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Von 100 auf null innerhalb kürzester Zeit – eine Herkulesaufgabe

Angesichts dieser Tatsache stellt sich die Frage: Ist denn selbst das 2-Grad-Ziel überhaupt noch zu erreichen? Theoretisch ja, wenn es der Staatengemeinschaft gelingt, ihre Gesamtbilanz von Kohlendioxid in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf null herunterzufahren. Das ist eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass nicht nur der Strombedarf weiter ansteigen wird. Die Internationale Energieagentur in Paris sagt voraus, dass im Jahr 2040 weltweit rund 30 Prozent mehr Strom verbraucht werden wird als heute. China beispielsweise wird demnach allein so viel Strom für den Betrieb von Klima­anlagen benötigen, wie Japan heute insgesamt verbraucht. Noch größer fällt der erwartete Zuwachs in der Lebensmittelproduktion aus, die schon heute rund 30 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verursacht. 

Einige Wissenschaftler haben vor diesem Hintergrund einen Maßnahmenkatalog entwickelt, mit dem die Klimaziele allein durch die Emissionsreduktion erreicht werden könnten. Demzufolge wäre das Pariser Klimaziel realistisch, wenn unter anderem in kürzester Zeit 

  • der Stromsektor vollständig auf erneuerbare Energie­quellen umgestellt wird, 
  • Fahrzeuge, Maschinen und Heizungssysteme elektrifiziert werden, 
  • Flugzeuge und Schiffe mit kohlendioxid-neutral erzeugtem Treibstoff fliegen bzw. fahren,
  • in Industrie und Haushalten nur noch moderne, energie­effiziente Geräte und Materialien zum Einsatz kommen,
  • die Lebensmittelproduktion deutlich optimiert wird, die Erdbevölkerung deutlich weniger Fleisch verzehrt und keine Nahrungsmittel mehr verschwendet sowie ihr Mobilitätsverhalten verändert, 
  • die internationale Staatengemeinschaft im Rahmen einer gemeinsamen Strategie eine effektive Klimapolitik betreibt.
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Kohlendioxid braucht einen Preis

Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass das Emittieren von Kohlendioxid Geld kosten muss. Der einfachste und insgesamt kostengünstigste Weg zu mehr Klimaschutz wäre demnach die Einführung einer Kohlendioxid-Steuer. Bislang gibt es weltweit kaum wirtschaftliche Anreize, den Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Das Abfallprodukt Kohlendioxid und andere Treibhausgase werden rund um den Globus kostenlos und damit auch bedenkenlos in die Atmosphäre entsorgt. Eine Kohlendioxid-Steuer würde dies ändern und Anreize setzen, Kohlendioxid zu reduzieren – zum einen durch Verhaltensänderungen, zum anderen durch technische Innovationen. Die Steuereinnahmen wiederum könnten die Staaten nutzen, um die Verbraucher einkommensneutral zu entlasten oder um die Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren. Praktisch alle anderen Vorschläge für mehr Klimaschutz erscheinen kompliziert oder gesamtwirtschaftlich kostspielig. Ein hinreichend hoher Preis auf Treibhausgas-Emissionen wäre dagegen eine klimapolitische Intervention, mit der Maßnahmen effektiv umgesetzt werden könnten, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen.

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Die Zukunft mitdenken

Ob die Staatengemeinschaft noch in der Lage sein wird, die zum Erreichen der versprochenen Klimaziele erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen schnell genug umzusetzen, ist fragwürdig. Zum einen fußen die Weltwirtschaft und unser bisheriger Lebensstil auf Energie aus fossilen Brennstoffen. Dieses Fundament in nur wenigen Jahren aufzusprengen, ohne schmerzhafte Einschnitte in Kauf zu nehmen oder die wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden, erscheint zurzeit unrealistisch. Zielstrebigkeit in Sachen Klimaschutz setzt voraus, dass die angestrebten Treibhausgas-Einsparungen schon heute in jede zukunftsweisende Entscheidung mit einfließen – zum Beispiel bei Bauprojekten. Ob Gebäude, Containerschiffe oder Indus­trieanlagen – alles, was heute neu gebaut wird, müsste entweder den strengen Klimaschutz-Leitlinien der Zukunft entsprechen oder diesbezüglich schnell umrüstbar sein. Schließlich sollen diese neuen Häuser, Fabriken, Straßen, Schienennetze, Schiffe und anderen Infrastrukturen deutlich länger im Einsatz sein als bis zum politisch ausgehandelten Stichjahr 2030.

Diese Weitsicht aber lassen viele Entscheidungsträger bislang vermissen – oder anders gesagt: Es klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was die Verantwortlichen wissen, und dem, was sie politisch umsetzen. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise sind auch im Jahr 2017 die Kohlendioxid-Emissionen im Industrie- und Verkehrssektor weiter angestiegen. Einen leichten Rückgang gab es lediglich in der Energiewirtschaft. Fakt ist, dass Deutschland noch immer weit seinem Ziel hinterherhinkt, den Treibhausgas-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990 sind die Gesamtemissionen in Deutschland bislang nur um 27,7 Prozent gesunken. Bis zum Stichjahr 2030 sollen es 55 Prozent sein, doch fehlen bisher sowohl der politische Wille zur umfassenden Energie- und Verkehrswende als auch die passenden Konzepte. ◆

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K O M P A K T

 
 
  • Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien wächst weltweit. Dennoch reichen diese Emissionseinsparungen nicht aus, um die Gesamtmenge an freigesetzten Treib­hausgasen zu reduzieren.
 
 
  • Der weltweite Bedarf an Energie und Nahrungsgütern wird weiter zunehmen und somit zusätzliche Emissionen verursachen.
 
 
  • Klimaforscher haben einen Katalog drastischer Klimaschutzmaßnahmen erarbeitet, mit denen die Erderwärmung gestoppt werden könnte. Bis diese Maßnahmen jedoch weltweit umgesetzt werden können, müssen sehr große Hürden überwunden werden.
 
 
  • Um den Klimaschutz wirksam voranzutreiben, sollten Kohlendioxid-Emissionen besteuert werden. Diese Maßnahme würde auch Anreize setzen, neue Methoden zur Emissions vermeidung zu entwickeln.
 

 Weiterlesen: Was ist CE